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Beleidigung – Meinungsfreiheit vs. Persönlichkeitsrecht

Immer wieder muss sich das Bundesverfassungsgericht mit Verurteilungen wegen Beleidigung beschäftigen. Grund hierfür ist, dass zwei widerstreitende grundrechtlich geschützte Rechte miteinander konkurrieren. Auf der einen Seite das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, auf der anderen Seite das allgemeine Persönlichkeitsrecht.

Nicht selten fällt diese Abwägung – insbesondere bei erstinstanzlichen Amtsgerichten – zugunsten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus. So erlebt man nicht selten, dass eine Abwägung gar nicht oder nur sehr oberflächlich vorgenommen wird. Dies ist insbesondere dann problematisch, wenn es um Beleidigungen gegenüber Organen der öffentlichen Hand geht.

Eine aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat erneut klargestellt, welche Anforderungen an eine solche Abwägung zu stellen sind.

Der Beschwerdeführer wurde wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 35 Euro verurteilt.

Grundlage dieser Verurteilung war insbesondere folgende Äußerung, welche in einem steuerrechtlichen Verfahren gegenüber dem nordrhein-westfälischen Finanzminister geäußert wurde:

„Weitere Dienstaufsichtsbeschwerden behalte ich mir ausdrücklich vor. Sie jetzt zu erheben, dürfte allerdings sinnlos sein: Solange in Düsseldorf eine rote Null als Genosse Finanzministerdarsteller dilettiert, werden seitens des Fiskus die Grundrechte und Rechte der Bürger bestenfalls als unverbindliche Empfehlungen, normalerweise aber als Redaktionsirrtum des Gesetzgebers behandelt. Aber vielleicht führt ja die Landtagswahl im Mai 2017 hier zu Verbesserungen [...]“.

Da sowohl Berufung, als auch Revision erfolglos blieben, erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht. Mit Erfolg!

Mit Beschluss vom Beschluss vom 19.05.2020 - 1 BvR 1094/19 entschied das Gericht, dass die Verurteilung eine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG darstellt.

Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Grundrechtlich geschützt sind damit insbesondere Werturteile, also Äußerungen, die durch ein Element der Stellungnahme gekennzeichnet sind. Dies gilt ungeachtet des womöglich ehrschmälernden Gehalts einer Äußerung. Dass eine Aussage polemisch oder verletzend formuliert ist, entzieht sie nicht dem Schutzbereich des Grundrechts. Dieser Eingriff in das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

Auch eine überzogene, völlig unverhältnismäßige oder sogar ausfällige Kritik macht eine Äußerung noch nicht zur Schmähung, so dass selbst eine Strafbarkeit von Äußerungen, die die persönliche Ehre erheblich herabsetzen, in aller Regel eine Abwägung erfordert.

Eine solche Abwägung hat laut Bundesverfassungsgericht nicht ausreichend stattgefunden. Für eine Verurteilung hätten die Entscheidungen daher im Einzelnen darlegen müssen, weshalb und inwiefern die Äußerung den Betroffenen über seine Amtsführung hinaus in seiner persönlichen Sphäre derart schwerwiegend herabwürdigte, dass die Abwägung zugunsten des Persönlichkeitsrechts ausfallen konnte.

Das bei der Abwägung anzusetzende Gewicht der Meinungsfreiheit ist umso höher, je mehr die Äußerung darauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten.

Eine begrüßenswerte Entscheidung. Das Strafrecht darf nicht missbraucht werden, um Menschen eine angemessene oder freundliche Wortwahl aufzuzwingen oder gar um ihnen eine kritische Haltung gegenüber einer Behörde abzugewöhnen. Bürger müssen ohne Angst vor staatlichen Sanktionen das Recht haben, Maßnahmen der öffentlichen Hand auch scharf und polemisch zu kritisieren.

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