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Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Untersuchungshaft

Ganz druckfrisch eine heute veröffentlichte Entscheidung aus Karlsruhe. Mit Beschluss vom 09.03.2020 hat das Bundesverfassungsgericht einer Verfassungsbeschwerde eines Untersuchungsgefangenen gegen die Anordnung von Untersuchungshaft stattgegeben und festgestellt, dass der Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Freiheit der Person verletzt ist. Beachtlich sind aus meiner Sicht insbesondere die Ausführungen der Kammer hinsichtlich der Anforderungen, die an den dringenden Tatverdacht zu stellen sind. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass die Ausführungen des OLG München zum dringenden Tatverdacht die erforderliche Begründungstiefe vermissen lassen, da eine schlüssige Darstellung einer konkreten Tat des Beschwerdeführers fehlt. Das Ausgangsgericht muss nun unter Beachtung dieser Ausführungen erneut über die Voraussetzungen der Untersuchungshaft entscheiden.

Zum Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer soll Mitglied einer Gruppe gewesen sein, welche auf dem Augsburger Weihnachtsmarkt Gewalttaten verübt habe. Die Staatsanwaltschaft Augsburg führt gegen den 17-jährigen Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beihilfe zum Totschlag und der gefährlichen Körperverletzung. Die Gruppe habe ihr späteres Opfer umzingelt, woraus sich zunächst ein Wortgefecht ergab. Dabei habe einer der Mitglieder das spätere Opfer mit einem gezielten Faustschlag zu Fall gebracht. Der Familienvater kam bei dem Schlag ums Leben, weshalb der Fall bundesweit für Aufsehen sorgte. Die Staatsanwaltschaft beantragte für alle sieben Gruppenmitglieder Untersuchungshaft.

Auf die Haftbeschwerde des Beschwerdeführers hob das Landgericht Augsburg am 23. Dezember 2019 den Haftbefehl auf. Es verneinte einen dringenden Tatverdacht. Ein doppelter Gehilfenvorsatz des Beschwerdeführers zu einem Totschlag oder einer Köperverletzung mit Todesfolge liege nicht vor.

Auf die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft hob das Oberlandesgericht München in der Folge die stattgebenden Beschlüsse des Landgerichts auf und ordnete erneut die Untersuchungshaft für alle Beteiligten an.  Begründet wurde dies damit, dass hinsichtlich aller sechs Beschuldigter der dringende Tatverdacht der Beihilfe zum Totschlag in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung vorliege. Gestützt wurde dies jedoch ausschließlich darauf, dass sich die Gruppenmitglieder unmittelbar vor der Tat provozierend und bedrohlich wirkend verhalten haben. Auch im Nachtatgeschehen sollen sich die Gruppenmitglieder provozierend und aggressiv verhalten haben.

Zu den Gründen:

Die Anordnung der Untersuchungs verletzt laut BVerfG den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf die Freiheit der Person. Die Freiheit der Person darf nämlcih nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Es ist also bei der Anordnung der Untersuchungshaft stets eine Abwägung zwischen dem Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung durchzuführen. Ein rechtsstaatliches Verfahren gebietet es, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen. Außerdem müssen solche Entscheidungen eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, welche der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht.

Diesen Vorgaben genügt der Beschluss des Oberlandesgerichts München nicht. Sowohl den Ausführungen zum dringenden Tatverdacht als auch zu den Haftgründen fehlt es jedenfalls an der erforderlichen Begründungstiefe. Eine schlüssige Darstellung einer konkreten Tat lässt das OLG vorliegend vermissen. Allein die physische Präsenz am Tatort ist selbstverständlich für sich genommen nicht strafbar. Aus dem Beschluss des Oberlandesgerichts geht gerade nicht hervor, woraus sich ein konkreter Tatbeitrag oder zumindest ein Vorsatz des Beschwerdeführers bezüglich des sofort tödlichen Schlags gegen den Kopf des Geschädigten ergeben sollte. Eine strafrechtliche Verfolgung setzt die individuelle Vorwerfbarkeit eines sozialethischen Fehlverhaltens, also eine individuelle Schuld voraus. Deshalb hätte das OLG für jeden Beteiligten individuell eine Tatbeteiligung darlegen und begründen müssen.

Darüber hinaus fehlt es dem Beschluss des OLG an der hinreichend begründeten Darlegung eines Haftgrundes. Es wurde keine Anhaltspunkte dargetan, die für eine Flucht- oder Verdunklungsgefahr sprechen.

Fazit:

Eine erfreuliche Entscheidung aus Karlsruhe. Die Untersuchungshaft ist ein massiver Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen. Allzu häufig werden ein hinreichender Tatverdacht bzw. ein Haftgrund voreilig angenommen. Bei derart grundrechtsrelevanten Maßnahmen ist es zwingend, dass die entsprechenden Voraussetzungen nicht nur oberflächlich geprüft und begründet werden.

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